Die Entscheidung, unsere Veranstaltungen auf der Bühne in der Bonner Brotfabrik als Livestream anzubieten, war keine strategische, sondern eine aus der Not geborene. Als es Ende Oktober 2020 hieß, dass Veranstaltungsorte coronabedingt schließen müssten, war für eines sofort klar – wir müssen weiter Angebote für unser Publikum schaffen, die Idee einer digitalen kulturellen Grundversorgung war geboren. Von anderen Häusern hatten wir schon gehört, dass sie erste gute Erfahrungen mit Livestreams gemacht hatten, also dachten wir uns: einfach mal machen.
Die Ausgangslage
Durch die sehr strikten Coronaauflagen im Herbst und Winter 2020 / 21 waren wir grundsätzlich schon sehr eingeschränkt in unseren Möglichkeiten: nur wenige Menschen durften sich mit großem Abstand treffen und nur in einem beruflichen Kontext war die Begegnung von mehr als zwei Haushalten erlaubt. Das hat also schon viele unserer Künstlerinnen und Künstler ausgeschlossen, denn diese betreiben ihre Kunst oft nicht als Hauptberuf.
Wie konnten wir also unser analoges, oft von “Laien” gestaltetes Programm in ein digitales mit Profis übertragen? Schnell ergab sich daraus die Idee, zwei frühere erfolgreiche Episodenformate, das “BUSCival” und “Kunst gegen Bares”, in digitale umzuwandeln. Die Moderation war live bei uns auf der Bühne und die jeweiligen Beiträge haben wir als vorproduzierte Clips eingespielt. Außerdem haben wir Konzerte mit kleiner Besetzung (zwei Personen) gestreamt. Zwei Kriterien hatten wir bei der programmatischen Auswahl: die Künstler*innen bzw. Formate sollten eine eigene Fanbase haben und die Inhalte sollten überregional interessant sein.
Als erstes technisches Setup haben wir genutzt, was wir – teilweise privat – hatten, ergänzt um über eBay gekaufte, gebrauchte Kameras. Als Streamingsoftware haben wir die Open Source Lösung OBS (Open Broadcaster Software) gewählt, die wir auch heute noch nutzen und sehr empfehlen können.
Bei der Wahl des Kanals und des Pricing sind wir von unserer Idee der digitalen kulturellen Grundversorgung ausgegangen. Wir haben unseren alten YouTube Kanal, der damals eine einstellige Zahl an Abonnent*innen hatte, entstaubt und entschieden, unsere Streams ohne Bezahlschranke, jedoch mit der Möglichkeit zu spenden, anzubieten.
Ganz ohne Erwartungen haben wir bei unserem ersten Streamtermin auf Start geklickt und wurden mehr als überrascht: über 200 Aufrufe und bis zu 52 Zuschauer*innen gleichzeitig, über 100 Kommentare im Livechat – das war ein echter Erfolg. Unser meistgesehener Stream, ein Folk-Konzert, hatte 952 Aufrufe, für eine Bühne mit 130 analogen Plätzen ist das schon eine Hausnummer.
Learnings aus 26 Livestreams
Im Laufe der Zeit und nach inzwischen 26 Livestreams haben wir viele Erfahrungen gesammelt und uns sowohl inhaltlich, als auch technisch immer weiter professionalisiert. Wir haben nach jedem Termin gefragt: “Was hat funktioniert, was nicht?” und unser Angebot entsprechend angepasst. Einige Formate, wie längeres Sprechtheater funktionierten weniger gut.
Konzerte aus speziellen Musikgenres, wie Folk oder Klezmer funktionierten aufgrund ihrer überregionalen Fangemeinde ausgesprochen gut. Außerdem war entscheidend, wie gut digital vernetzt die auftretenden Künstlerinnen und Künstler waren. Wer gut vernetzt war, hatte mehr Aufrufe, mehr Aktivität im Livechat und konnte auch mehr Spenden einsammeln.

Insgesamt war und ist unsere Erfahrung mit Livestreaming so positiv, dass wir auch jetzt, nachdem wir wieder für Publikum geöffnet haben, weiter streamen werden. Die Nutzung hat sich allerdings deutlich geändert. Während des Lockdowns im Winter 2020 / 21 war das Liveerlebnis und das in Echtzeit dabei sein am heimischen Monitor von großer Bedeutung. Das hat sich inzwischen komplett gedreht. Jetzt wird geschätzt, dass man Veranstaltungen, die man nicht live und vor Ort erleben kann, on demand nachschauen kann. Die Abrufzahlen in den 24 Stunden nach dem Livestream überschreiten idR die Abrufe während des laufenden Streams.
Ein weiteres wichtiges Learning haben wir als Team aus der Situation gewonnen. Wir haben gemeinsam improvisiert, gemeinsam Ideen entwickelt und sie in die Tat umgesetzt. Die Erfahrung, aus der Not heraus etwas zu entwickeln, was funktioniert und uns und den Künstler*innen Spaß macht, ist unbezahlbar.
Auf die Erfahrungen der Brotfabrik Bühne mit Livestrems und digitalen Formaten gehe ich auch ausführlich in dem Bloggespräch ein, das Annette im vergangenen Oktober mit mir geführt hat.

Ulrike verantwortet seit über 15 Jahren die digitale und analoge Kommunikation für die Brotfabrik Bühne in Bonn. Die Leidenschaft für Kultur hat ihr gesamtes Berufsleben von der Buchhändlerinnenausbildung nach dem Abitur über mehrere Stationen bei Bühnen und Museen bis heute geprägt. Vor gut zehn Jahren kam die Begeisterung für digitale Themen dazu.